Ideenhorizonte

In dieser Rubrik soll auf das Entstehen einer Forschungsplattform aufmerksam gemacht werden. Als deren Modell kann man sich Kongresse, Tagungen, Seminare vorstellen, bei denen ein Austausch von Forschungsergebnissen stattfindet. Anstelle von Vorträgen werden Bücher präsentiert. Thematischer Rahmen soll – fürs erste – „Ideenhorizonte liberaler Demokratie“ sein. Dieses Generalthema wurde in Abteilungen aufgeteilt, deren inhaltliche Besonderheit stichwortartig beschrieben wird.

Das „lange“ 19. Jahrhundert –
Geburt der Industriemoderne

Das „lange 19. Jahrhundert“ (Eric Hobsbawm) umfasst die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg. Diese Epoche war geprägt durch den Aufstieg des Bürgertums, die Industrialisierung, den Kapitalismus und die Arbeiterbewegung. Imperialismus und europäische Dominanz setzen eine erste Globalisierung ins Werk, mündend in Gewalt. Am Beginn dieser „Verwandlung der Welt“ (Osterhammel) steht die sogenannte Sattelzeit, in der sich die politische Semantik und die Ideologien der Moderne herausbilden; am Ende steht der Untergang der bürgerlichen europäischen Welt.

Juden in Deutschland:
Politische Emanzipation und kulturelle Assimilation

Das Hardenbergische Edikt von 1812 hatte den Juden die freie Wahl des Wohnorts, des Berufes und des Erwerbs von Eigentum zugestanden. Die Juden begannen, sich als aktiver, mitgestaltender Teil der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen. Die Buntheit des jüdischen Lebens, ihr unschätzbarer Beitrag zur europäischen Kultur und zum Wirtschaftsleben, aber auch die politische und gesellschaftlich Rolle deutscher Jüdinnen und Juden sind unerlässlicher Teil der historischen Erinnerung in Deutschland.

Politischer Antisemitismus und Rassismus

Aufklärung und Säkularisierung haben den christlich-jüdischen „Konflikt“ nicht aus der Welt geschafft, sondern im Zuge von Modernisierungskrisen weiter schwelen lassen: Der religiöse Antijudaismus wurde in einen politisch aggressiven Antisemitismus transformiert. Herausgetreten aus einem ehemals theologischen Bereich, angetrieben und verstärkt durch die Antagonismen einer im Übergang zum Industriekapitalismus befindlichen Gesellschaft, breitete sich der Judenhass ungehemmt aus und ging eine Melange mit zeitgenössischen Rassetheorien ein.

Die „Weimarer Republik“:
Fragilität der liberalen Demokratie

Die „Weimarer Republik“ als erste deutsche Demokratie kann als „Laboratorium der Moderne“ (Peukert) verstanden werden. Gegründet auf die fortschrittlichste Verfassung ihrer Zeit verwirklichte sie viele demokratische Forderungen ihrer Zeit und stand an der Wiege des modernen Sozialstaats. Sie weckte große gesellschaftliche Erwartungen und zerbrach an antiliberalen, antiparlamentarischen und autoritären Widerständen – nicht zuletzt innerhalb der gesellschaftlichen und politischen Eliten. Sie bleibt bis heute ein Lehrbeispiel für die Fragilität demokratischer Ordnungen.

Die Zeit des Nationalsozialismus

Sehr verbreitet ist für diese Zeit „Drittes Reich“. Wikipedia fasst aber überzeugend zusammen, dass dies eine „wegen Ihrer Begriffsgeschichte umstrittene … Bezeichnung für das nationalsozialistische Deutschland“ ist. „Seit den 1920er Jahren wurde der Begriff von der Völkischen Bewegung und den Nationalsozialisten propagandistisch eingesetzt, um die von ihnen angestrebte Diktatur in eine Traditionslinie mit dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich und 1871 gegründeten Kaiserreich zu stellen, die Weimarer Republik hingegen von beiden abzugrenzen und dadurch zu delegitimieren“.
Stichworte: Machtergreifung, Verfolgung der politischen Gegner der Nazis, Verfolgung der Juden in Deutschland mit dem Ziel der vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums, „Anschluss“ Österreichs, Kriegsvorbereitung, der „zweite Weltkrieg“; der „Widerstand“

Der Holocaust

Die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begonnene gesellschaftliche Ausgrenzung der deutschen Juden steigerte sich im Laufe des zweiten Weltkriegs zu einer systematisch geplanten Vernichtung des europäischen Judentums. International setzte sich dafür der zuerst in der amerikanischen Geschichtswissenschaft verwendete Begriff „Holocaust“ durch.
Der Holocaust wurde inmitten der modernen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt, in einer hochentwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen; er muss daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden.

Emigration und Remigration

Die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger nach der Machtübernahme der NDSDAP 1933 trieb nicht wenige der bedeutendsten Denker ins Exil. Ihr politisches und gesellschaftliches Denken war in besonderer Weise durch die Erfahrung existentieller Gefährdung und durch die Wahrnehmung des dünnen Firnisses westlicher Zivilisation geprägt. In Westeuropa und Amerika beeinflussten diese Emigranten ihrerseits den Diskurs über Politik, Recht, Ökonomie und Gesellschaft. Ohne ihre Exilerfahrung, die eine neue Neuanpassung, eine Akkulturation und Modifikation von Ideen erforderte, wäre die intellektuelle Welt des Kalten Krieges kaum verstehbar.

Die Nachkriegszeit

Die Nachkriegszeit begann mit dem Mythos der „Stunde Null“, die nach Meinung der einen entschlossen wahrgenommen wurde, die man nach der Meinung der anderen „verspielte“. Wie reagierten die Deutschen auf den Zerfall des Nazi- und die Errichtung des Besatzungs-Regimes. Die alliierten Nachrichtendienste haben das analysiert („Zwischen Befreiung und Besatzung“). Und wie, wenn überhaupt, wurden Menschen, die die KZ-Zeit überlebt hatten, mit einem Leben fertig, das viele von ihnen als Quelle eines unendlichen Schuldgefühls angesichts ermordeter Angehöriger erlebten („Leben nach dem Überleben“).

Die Demokratisierung Deutschlands

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem anderen geprägt von der Kriegsniederlage, dem umfassenden und katastrophalen Bankrott des NS-Regimes und von den Interessen und Vorgaben der Westalliierten („cold-war liberalism“). Der Wiederanschluss an die Diskussionen der 1920iger Jahre war insgesamt eine ideelle Ressource liberalen Denkens – mit der Traditionslinie, die von der Paulskirche über die Weimarer Nationalversammlung bis zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee im August 1948 reicht. Bedeutsam wurden die Soziale Marktwirtschaft und die Integrationsleistung einer Kanzlerdemokratie, die in Adenauer einen alten Patriarchen fand, der die Westbindung alternativlos vertrat. Die gesellschaftliche Liberalisierung seit den 1960er Jahren war das Ergebnis von Protestbewegungen und der allmählichen Lösung von autoritären Traditionen.

Europa

Das Vereinigte Europa kann als die größte politische Errungenschaft nach dem 2. Weltkrieg gelten. Es hat Jahrhunderte gedauert und offenbar zweier verheerender Weltkriege bedurft, um zu einem Europa zu kommen, das für lange Zeit zu einem Garanten für Friedenssicherung, Freiheit, Demokratie und Wohlstandsmehrung wurde. Zurzeit jedoch zeigt sich Europa in der sich schnell ändernden Welt unsicher: ohne Visionen, in seinen Ressourcen begrenzt und ohne Willenskraft, dem von Konflikten geschüttelten Planeten das zu geben, was es in seiner mehr als zweitausendjährigen Geschichte erworben hat: die Fähigkeit zur Selbstkritik, zu Forschung und Experiment und zur Einsicht, dass es alternative und bessere Formen des menschlichen Miteinanders geben kann.

Zukunftsfragen

In Zentrum dieses Komplexes stehen zwei Initiativen, die es regelmäßig bis in die Fernsehnachrichten bringen: Anfang Dezember zur Verleihung des von Jakob von Uexküll gestifteten „Alternativen Nobelpreis“ (The Right Livelihood Award), der mit dem – ebenfalls von Jakob von Uexküll gegründeten – Weltzukunftsrat (World Future Council) verbunden ist, sowie wenn der (meist Anfang August) sog. Overshoot-Day vermeldet werden muss; dann nämlich, wenn die, nach der Methode von Mathis Wackernagel durchgeführten Messungen ergeben, dass auf der Erde (erneut !!) mehr Ressourcen verbraucht wurden, als die Natur zu regenerieren in der Lage ist.
Daneben werden hier Grundlagen-Texte zu ethischen Fragen und soziologische Analysen zu neuzeitlichen Phänomenen angesiedelt.

Micha Brumlik

„Ich glaube an die Mittel der Aufklärung“ äußerte Micha Brumlik einmal auf die Frage, wie er meint, dass dem Antisemitismus „beizukommen“ sei. Da dies so etwas wie eine unausgesprochene Verabredung auch mit anderen Autorinnen und Autoren, die sich mit diesem und anderen hier präsentierten historischen und gesellschaftlichen Problemen beschäftigen, und den Verlagen, deren Bücher hier vorgestellt werden, ist, haben wir Micha Brumlik vorgeschlagen, die sieben bisher in von uns betreuten Verlagen erschienenen Bücher zu einer Ausgabe „Gesammelte Werke“ auszubauen. Wie wir aus anderen Verlagen wissen, ist das eine langwierige editorische Unternehmung: aber auch hier muss erst einmal „der Stein ins Wasser geworfen werden“.

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